Es war vielleicht die Session auf dem DemokratieCamp, die mich am meisten grübeln lassen hat. „Engagement mit wenig Zeit“. Da versammelten sich zahlreiche Menschen, die irgendwie am gleichen Problem knabberten: Wenig Zeit. Der Vollzeitjob haut mit 40 Stunden die Woche rein. Dazu pendelt man. Hat vielleicht ein Kind. Oder gar mehrere. Familie. Will noch Freunde treffen. Man muss einkaufen. Das Klo ist diese Woche auch noch nicht geputzt und Sport hat man auch noch nicht gemacht. Die Zahnzwischenraumpflege auch nicht. Und dann noch gesellschaftliches Engagement, wenn die Energie nach Feierabend gerade noch reicht um Netflix zu starten? Ehrenamt, Verein, gar Ämter in einem Verein, Veranstaltungen organisieren, bewerben, durchführen? Schwierig. Der Tag hat nur 24 Stunden und wenn man nicht seine 8 Stunden schläft, dann kippt man irgendwann um. So sind natürlich viele demokratische Gruppierungen von gewissen Altersklassen dominiert: Rentner haben naturgemäß viel Zeit. Schüler und Studenten teilweise auch. Da gibt es ein gewisses Ungleichgewicht – ich hatte die Zeit, um einen Samstag auf dem DemokratieCamp herumzulungern, alleinerziehende Mütter eher weniger.
In solchen Diskussionen taucht dann häufig jemand auf, der einem einfach mangelndes Zeitmanagement oder mangelnden Fokus vorwirft. Ihr kennt diese Leute und Influencer-Heinis, die einem dann erzählen, dass man ja in nur 15 Minuten pro Tag eine Sprache lernen kann, dass man ja statt 10 Minuten Instagram-Scrollen sich auch schlank und muskulös trainieren kann und dass der Tag ja 24 Stunden hat und man nach 8 Stunden Arbeit ja 16 Stunden zur freien Verfügung hat und da kriegt man dann ja locker noch ein Zweitstudium unter. Große Sprüche, aber es braucht Pausen, Ruhephasen und Feierabend, sonst droht irgendwann der Burnout oder der Zusammenbruch. Genau das muss auch ein engagierter Mensch verhindern, denn was bringt es, wenn man was mit viel Selbstaufopferung auf die Beine stellt, zusammenklappt und die Sache selbst dann auch einschläft?
In den 45 Minuten wurde natürlich nicht das Patentrezept gefunden – wie zu erwarten war bei einem komplexen Thema mit starkem persönlichen Bezug. Aber ein paar Ideen gab es schon und ich glaube es macht auch Sinn, die hier mal aufzuführen:
– „Ehrenamts-Tinder“ –
War eher eine Idee zu der es noch keine konkrete Umsetzung gibt. Vereine und auch Ehrenamt haben die Angewohnheit, dass sie eben nicht nur Engagement sind, sondern auch Freundeskreis und irgendwann sehr viel Zeit futtern. Es ist das eine, dass man mal für eine Sache etwas macht und das andere, wenn man dann plötzlich Kassenwart ist oder Vereinsvorstand. Hier gab es die Idee, dass Vereine deutlich aktiver nach Außen kommunizieren sollten, dass sie bei bestimmten Themen Unterstützung brauchen. Denn jeder von uns hat Skills und kann diese zum Einsatz bringen – sei es, dass jemand mit Moderationserfahrung eine Veranstaltung moderiert, jemand mit Grafikdesign-Background ein Plakat designt oder jemand einen Mastodon-Account einrichtet. Diese Verbindungen fehlen häufig und sind gerade durch Covid flächendeckend zerstört worden.
– Geld –
Ganz banale Feststellung: Auch Engagement braucht Geld. Wer keine Zeit hat, kann auch mit einer Spende sehr viel unterstützen und bewegen. In einer Suppenküche braucht es halt nicht nur Menschen, die die Suppe kochen und ausgeben, sondern halt auch jemanden, der die Zutaten bezahlt. Oder ganz viele Personen, die jeweils einen kleinen Teil der Zutaten bezahlen.
– Teilen via SocialMedia/Messenger/etc. –
Menschen, die ständig nur irgendwelche Unterschriftenkampagnen posten, nerven irgendwann, aber man kann seine Social Media-Accounts oder den WhatsApp-Status auch gezielter nutzen. Je persönlicher, desto überzeugender. Ein „Ich geh am Donnerstag zu dieser Veranstaltung, will jemand mitkommen?“ ist definitiv ein Zugpferd.
– Freistellungen/Bildungsurlaub –
Eine andere Variante, um mit Zeitnot umzugehen, ist natürlich eine Reduzierung der Arbeitszeit. Das geht natürlich auf das Einkommen, Rente, den ganzen Rattenschwanz. Aber es gibt durchaus Mittel und Wege, um das etwas abzufedern: Bildungsurlaub kann eine Option sein, aber es wurde auch angesprochen, dass einige Arbeitgeber durchaus Freistellungen für Ehrenamt ermöglichen. Auch innerbetrieblich gibt es ja durchaus Möglichkeiten für demokratisches Engagement während der Arbeitszeit, etwa im Betriebsrat.
– Mehr Loben –
Wir loben zu wenig. Wann hast du das letzte Mal jemanden dafür gelobt, weil du es wirklich cool findest, was er/sie macht? Gerade in einer Welt, in der engagierte Demokraten mit Hassbotschaften überflutet werden, ist ein ehrliches Lob Gold wert und sorgt für genau den zusätzlichen Motivationsschub. Das kann auch einfach nur eine schnelle Mail oder DM sein.
Erstaunlicherweise ist ein Thema völlig vergessen worden und wurde gar nicht angesprochen. Mir ist es erst nach der Session aufgefallen und vielleicht war es in der Gruppe engagierter und interessierter Menschen auch so selbstverständlich, dass keiner es für besonders erwähnenswert hielt: Wählen. Das zentrale Element einer jeden Demokratie, was wirklich nicht viel Zeit verlangt. Dann füllt man halt alle paar Jahre einen Briefwahlzettel aus oder macht einen Sonntagsspaziergang ins nächste Wahllokal.
Es geht also durchaus was, auch für gut beschäftigte Leute. Gleichzeitig gibt es natürlich auch Leute mit Zeit – eine der Fragen in der Session war, warum denn gefühlt „die Gegenseite“ so viel Zeit hat, dass sie jede Kommentarspalte jeder Zeitung vollschreiben kann und jedes Mal, wenn irgendwo gegendert wird einen empörten Leserbrief schreiben kann. Das muss nicht sein und so kann es auch ein Ziel sein, Menschen mit mehr Zeit zu aktivieren.
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