Ewers, Hanns Heinz - Die Grotta maravigliosa

Einmal habe ich eine Grotte entdeckt. Das war so:

Jedem Capribesucher ist die Grotte Bianca bekannt. Man fährt mit dem Boot hinein, steigt dann aus, findet ein neues Seebecken, um das man herumklettert, und gelangt schliesslich in einen Gang, der wieder in ein unterirdisches Wasserbassin mündet. Ehe man in diese Grotte hineinfährt, zeigt der Schiffer dem Fremden auch wohl noch ein andere, die hoch oben an der steilen Felswand zum Meere sich öffnet. Man sieht vom Boote aus nur den Eingang, der gewaltige Stalaktiten zeigt. Viele Tausende von Fremden und Fischern hatten schon vom Meere aus diese Grotte gesehen, hineingedrungen war aber noch keiner; war es nicht ähnlich mit der Grotta Azurra, als Kopisch sie fand? Jeder Fischer kannte ihren Eingang, aber keiner wagte sich hinein, bis der blonde Deutsche den Bann brach. Bei unserer Grotte liegt der Fall etwas anders: hinein hat wohl mancher gewollt, aber er konnte nicht. Und so blieb diese herrliche Grotte, die wir die »Wundergrotte«, Grotta Maravigliosa, getauft haben, bis vor kurzem eine terra incognita.

Eines schönen Tages machten wir uns auf den Weg.

In den antiken Hafen bei den Faraglioni hatte ich zwei Fischer mit ihren Barken bestellt, dazu zwei Bauern, Natale und Peppino, prächtige Felsenkletterer, mit denen ich schon manche schwierige Tour gemacht hatte. Unsere Ausrüstung bestand in ein paar Brecheisen, einigen langen festen Stricken und der zwölf Meter langen Kirchenleiter des Domes. Soweit war unsere Expedition ausserordentlich harmlos, der zweite Teil sollte es um so weniger sein.

Da der Fels bis zu einer Höhe von etwa sechs Meter über dem Meeresspiegel von den Wogen noch immer rundlich ausgehöhlt ist, so mussten wir unsere Leiter ins Wasser stellen, um über diese Stelle hinweg zu kommen. Zwei der Leute hielten die Leiter steil in die Luft, dann kletterte ich mit Natale hinauf und von der Leiter auf einen kleinen Vorsprung am Stein. Etwa acht Meter waren wir in die Höhe geklommen, aber die senkrechte Wand betrug über dreissig Meter, und wir kamen nur um Zentimeter höher. Aber schliesslich waren wir doch oben, freilich mit blutigen Händen und Füssen. Wir liessen eine Schnur hinunter und zogen die Stricke daran hinauf, die oben um Stalagmiten gewunden wurden. Ein gewöhnlicher Schiffsblock, ein kleines Brett – und wir hatten den prächtigsten Flaschenzug, um die anderen hinauf zu winden. Die Schiffer mussten unten ziehen und hinauf ging's; in kurzer Zeit waren alle oben.

Wir wandten uns der Grotte zu, doch gingen wir nicht sofort hinein, denn der Fuss scheute sich fast auf den wunderbaren zerbrechlichen, weissgelben, grün und blau schillernden Boden voll der wunderbarsten Gebilde zu treten; so jungfräulich rein erschien diese mächtige natürliche Kirche, dass wir kaum wagten, sie durch Menschentritt zu entweihen. Ein ähnliches Gefühl mochte wohl auch Natale, der arme Bergbauer, haben; auch er wollte zuerst nicht hinein, denn es seien sicher Geister darin. Und er zeigte auf die schnell huschenden riesigen Fledermäuse.

Ich werde nur eine sehr unvollkommene Schilderung von der Wundergrotte geben können. Homer und Böcklin müssten zu diesem Zwecke zusammenwirken. Gewaltig weitet sich die Grotte, die ihr Licht von unten empfängt. Man kann wohl hundert Meter eben fortschreiten, dann steigt sie langsam nach oben, etwa zweihundert Meter weit. Die grösste Breite beträgt vierzig Meter, die grösste Höhe achtzig Meter. Wo man hinblickt, bietet sich ein anderes von der Natur in Stein gemeisseltes Bild. Hier fliegt aus der blauen Decke eine Schar schneeweisser, spitzschnäbliger, langhalsiger Reiher, die auf den Köpfen grüne Krönchen von Venushaar tragen. Dort steht eine Gruppe mannshoher brauner Pilze und dahinter fallen weisse, faltige Vorhänge herab; da liegt auf einem Felsvorsprung ein riesenhafter, schwarzgrüner Polyp. Wie die blauen Pfähle, an denen die venezianischen Schiffer ihre Gondeln binden, ragen hier mächtige, zwanzig Meter hohe Stalagmiten vom Boden empor, dort stehen andere dicht gedrängt zusammen, wie silberne Orgelpfeifen. Im Hintergrunde hörte ich Wassertropfen klatschen. Ich trat auf die Stelle zu und fand eine Art Gletschermühle: in rundem Becken ein paar weisse Steine, die während vieler Jahrhunderte der fallende Tropfen abgeschliffen hatte. In der Mitte scheint der Boden einen runden grünen See zu bilden, den ein steinerner Kranz von gelben Himmelsschlüsseln und rotbraunem Goldlack umgibt. Dort an der Seite, vor einem tiefen glühheissen Spalt stehen sonderbare Gewächse, blaue Säulen, die wie mit Perlen besetzt sind. Weiter nach hinten folgen andere, grüne, die braune Korallenzweige tragen. Durchsichtige wasserklare Strohhalme hängen hier von der Decke, dort Mechelner Spitzen und Brüsseler Kanten.

Man preist die Grotta Azurra wegen ihrer wundervollen blauen Farben und man tut recht daran; und doch ist ihre Farbe arm im Vergleich zu dem überreichen Farbenspiel der Grotta Maravigliosa. Der türkisblaue Meeresspiegel wirft zur Mittagszeit am Eingang seinen blaugrünen Reflex wie bei der Grotta Azurra auf die Felsen, dann geht die Farbe in ein zartes Smaragdgrün über, um sich schliesslich bis zum tiefsten Azurblau zu vertiefen. An einer Stelle ist eine Gruppe von Stalaktiten völlig rosa getönt, während gleich daneben marmorweisse, zinnobergelbe und tiefschwarze stehen. Und keine dieser Farben verdrängt die andere; sie scheinen alle durch eine wunderbar zarte Harmonie vereinigt zu sein.

Wir hatten wahrhaft recht, als wir die Grotte »Maravigliosa« nannten: es ist in der Tat eine Wundergrotte.

– Das war im Jahre 1904. Ich war schrecklich stolz auf meine Entdeckung, machte herrliche Aufnahmen, schrieb Aufsätze, die durch alle Blätter der Welt gingen. Wie ein Huhn gackerte ich, das glücklich ein Ei gelegt hatte.

Dann gab ich mir grosse Mühe, den Eigentümer des Grundes und Bodens aufzufinden; das war nicht leicht, da es Grundbuch und Kataster nicht gibt. Ich fand schliesslich, dass der Boden einer sogenannten Congrega di carità gehörte, d. h. einem Vereine zum Wohle der Armen. Auf dem Rathause zu Capri arbeitete ich wochenlang mit einem Ingenieur die Pläne zu einem Aufstieg aus; kurz, ich tat, was ich nur tun konnte, um diesen neuen Schatz der Insel zu erschliessen.

Und was war der Dank dafür?

Eine Anklage!

Ich erhielt eines Tages vom Gericht ein Schriftstück zugesandt, in dem ich beschuldigt war, »di essere arbitrariamente entrato nella Grotta Maravigliosa, proprietà della Congrega di Carità di Capri«. Das heisst, weil ich ohne Erlaubnis auf den Grund und Boden der Congrega eingedrungen war! – – Man denke: auf einen Boden, den mein Betreten erst der Eigentümerin schenkte, von dem die Congrega erst durch mich Kenntnis erhielt, in eine Grotte, der ich erst den Namen gab! Allerdings wurde ich freigesprochen, aber ich bin überzeugt, dass ich diesen Freispruch nur der persönlichen Sympathie des Richters zu verdanken hatte; der Vertreter der Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe beantragt, und ein anderer Richter hätte mich ganz gewiss verurteilt. Denn das war ja durchaus richtig: auf fremdem Grund und Boden war ich ohne Erlaubnis eingedrungen! Und darum, wenn ich noch einmal irgendwo einen Schatz finde, so werde ich ihn still für mich behalten und keinem Menschen, und am wenigsten dem Eigentümer, etwas davon sagen. Denn ich habe durchaus keine Lust, noch einmal von einem Gerichte belästigt zu werden, weil ich »ohne Erlaubnis fremden Boden betreten«!

– Die Gemeinde und die Congrega taten sich zusammen, sie bauten von aussen her vom Meere herauf einen bequemen Aufstieg, durchschlugen den Fels und schufen einen Eingang. Aber sie zerschlugen dabei manches andere noch und schufen einen Haufen Gerümpel. Und da jeder Besucher gern eine Erinnerung mitnimmt, eine Stalaktitenspitze, die er wieder wegwirft, noch ehe er heimkommt, so wird die Herrlichkeit bald zu Ende sein: das Haus wird abgetragen.

Und ich gebe gerne zu: ich war ein greulicher Esel!

Quelle

https://www.projekt-gutenberg.org/ewers/meinauge/chap004.html



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